Wie ich von der Stenografin zur Fotografin wurde

Graduation

„Wie bist du zur Fotografie gekommen?“ Das werde ich immer wieder gefragt. Es ist kaum zu glauben, aber früher habe ich nicht einmal gedacht, dass ich künstlerisch begabt bin. Mein Weg zur Fotografie war für mich bis 2009 undenkbar. Ich hatte nie gedacht, dass ein Beruf mich so glücklich machen könnte und dass ich meine Arbeit so lieben würde.

Aufgewachsen wie in einem Schwarz-Weiß-Film

Ich bin in einem kleinen Dorf in der Nähe von Halle/Saale aufgewachsen, wo die Welt ziemlich grau war. 

das bin ich als Baby

Solange wir nicht darüber nachdachten, dass wir auch anders leben könnten, hatten wir eine unbeschwerte Kindheit. Ich bin auf einem Bauernhof, zusammen mit meiner ein Jahr jüngeren Schwester, Sandra, aufgewachsen. Wir hatten immer Freunde mit denen wir im Dorf unterwegs waren. Durch den Verkauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und das Aufziehen von Hühnern, Gänsen, Enten, etc. ging es uns im Vergleich zu städtischen Kindern richtig gut. Wir hatten alles, was wir brauchten.

Mit 15 Jahren, in der 9. Klasse, musste man sich nach einer Lehrstelle umschauen. Ich wurde vom Staat dazu verpflichtet, “Facharbeiter für Schreibtechnik” (Stenotypistin) zu werden. Das wurde ich dann auch. Die Lehre, also Stenografie und Schreibmaschine lernen, war eine Qual, doch irgendwann fing ich tatsächlich an, das zu mögen.

Das Leben war farblos: die Häuser waren grau, die Städte waren grau, es gab einfach keine Farbe. Über Halle lag jeden Morgen eine Glocke aus Smog, so dass man wie im Nebel lief. Es roch nach Kohleabgasen und manchmal kam mit dem Wind der Chemiegeruch aus Buna/Leuna/Bitterfeld.

Über den Dächern von Halle/Saale

Vielleicht ist das der Grund, warum ich heute Farben so liebe.

Der Mauerfall und meine Erkenntnis: es gibt auch Farbe im Leben

Bevor 1989 die Mauer fiel, flüchteten mein damaliger Freund und ich in den “goldenen Westen”. Die Familie blieb zurück. Wir wussten zu diesem Zeitpunkt nicht, ob wir uns jemals wiedersehen würden. Aber kurze Zeit später fiel die Mauer zwischen Ost- und Westdeutschland.

Die vielen Eindrücke und das Überangebot an Waren im Supermarkt erschlugen uns auf der einen Seite. Auf der anderen Seite war dies eine Erfahrung, die wir bald nicht mehr missen wollten. Wir konnten plötzlich kaufen, was wir wollten.

Nachdem wir viele Hürden überwunden und tolle Menschen kennengelernt hatten, sind wir in Mannheim sesshaft geworden, fanden schnell gute Arbeit und entdeckten die Freiheit im so “bösen Kapitalismus” (so wurde es uns in der Schule beigebracht).

Halle/Saale

Halle/Saale heute

Von Mannheim ging es 1991 wieder zurück nach Halle, wo ich die Ausbildung zur Fremdsprachensekretärin machte, um einen guten Abschluss für meine zukünftige Karriere zu haben. Ich arbeitete in Leuna mit vielen Franzosen zusammen, die dort eine Erdölraffinerie aufbauten. Nachdem diese Baustelle im Jahr 1997 beendet war, bewarb ich mich in Paris, um mein Französisch zu vertiefen. Es klappte schnell mit einer Stelle als Sekretärin. Meine Freundin Emma, die ich auf der Baustelle kennengelernt hatte, stellte mir ihre Wohnung zur Verfügung bis ich meine eigene gefunden hatte.

In Paris lebte und arbeitete ich zwei Jahre bevor ich nach Bayern, zuerst München, danach Landsberg am Lech, zog.

Landschaftsfotografie

Das Lechwehr in Landsberg am Lech

Nicht mal im Traum dachte ich daran, dass ich etwas anderes als eine Sekretärin sein könnte. NEIN. Ich war in allen Firmen, in denen ich bis 2009 gearbeitet hatte, sehr zufrieden: Ich hatte immer gute Kollegen, mein Job hat mir Spaß gemacht und ich hab dabei sogar ganz gut verdient. Also konnte ich mich nie beklagen. Ich wusste nicht, dass es auch andere Lebensentwürfe gab, um viel glücklicher arbeiten und leben zu können.

Problematisch war es erst als im Jahr 2003 unser Sohn Niklas geboren wurde und ich deshalb nach der Elternzeit nicht mehr Vollzeit arbeiten konnte. Der Kindergarten schloss sogar über Mittag, das war damals in Bayern so üblich auf dem Lande. Für angestellte Mütter war es unmöglich, während dieser Zeit arbeiten zu gehen. Das wäre als Selbständige anders gewesen.

Unsere Zeit in den USA

Im Jahr 2008 erfuhren wir, dass mein Mann, Michael, ab 2009 von der Bundeswehr für mindestens drei Jahre in die USA versetzt werden sollte. Damals hatte ich wieder einen guten Job als Sekretärin. Ich konnte mir eigentlich nicht vorstellen, als Frau eines Bundeswehrsoldaten zu Hause zu sitzen und nicht arbeiten zu gehen, während unser Sohn in der Schule und mein Mann auf Arbeit war.

Nachdem wir unser Haus in Alamogordo, New Mexico, bezogen und eingerichtet hatten, dachte ich mir, ich könnte zumindest mal beginnen, meine englischen Sprachkenntnisse zu verbessern, bevor ich den ganzen Tag zuhause sitzen würde. Ich wollte die Zeit nutzen.

An der Uni konnte man nur studieren, wenn man einen GED (Highschool-Abschluss) oder ein deutsches Abiturzeugnis nachweisen konnte – und ich hatte beides nicht.

So kam es, dass ich den GED machte und mich für meinen ersten Kurs an der Uni anmeldete. Die reinen Englischkurse interessierten mich nicht wirklich. Ich wollte mein Englisch lieber in einem kreativen Kurs verbessern. Da ich eine Digitale SLR-Kamera hatte und mich damit nicht auskannte, meldete ich mich also zu meinem ersten Kurs “digitale Fotografie und Bildbearbeitung in Photoshop” an. Unsere Lehrerin, Sarah Irving, liebte uns Deutsche an der Uni, da wir den Ruf hatten, dass wir pünktlich sind und unsere Arbeiten fristgerecht abgeben.

Sarah war es auch, die mich zur Seite nahm, noch bevor das 1. Semester zu Ende war. Sie überredete mich, den gesamten Abschluss in Fotografie zu machen. Dieser beinhaltete viele Kurse wie Film-Fotografie mit Entwicklung in der Dunkelkammer, Photoshop, Portrait, Englisch, Design, Premiere Pro, etc. Dieses Studium beinhaltete u. a. auch ein Praktikum bei der lokalen Zeitung, das mir sehr viel Spaß gemacht hat. Ich bekam viele Möglichkeiten, um verschiedene Arten der Fotografie auszuprobieren.

Träume werden wahr

Graduation

Foto: © Tina Beltran Photography

Im Mai 2013 graduierte ich und erhielt meinen Abschluss als Fotografin. Daraufhin eröffnete ich mein Fotostudio zuhause in unserer Garage mit Spezialisierung auf Familienfotografie und Kinder- und Business-Portraits. Die meisten Sessions fanden in der Natur statt, denn das Wetter war fast immer gut.Damals wie heute liebe ich alles was ich tue und bin sehr froh, dass ich diesen Schritt gegangen bin. Es macht mir sehr viel Spaß, andere Leute glücklich zu machen.

Ich im White Sands National Monument

Ich bildete mich ständig weiter auf Workshops und Conventions. Die Organisation Professional Photographers of America half mir dabei, meine Fotografie zu dem zu machen, was sie heute ist. Mein Mentor, Steve Kozak, von Texas Professional Photographers gab mir die Hilfe im Marketing und überzeugte mich davon, mich vom Shoot & Burn Photographer zum Portraitfotografen zu entwickeln. Durch ihn wurde mein Traum, von der Portraitfotografie leben zu können, wahr.

Während der Zeit in den USA lernten wir viele einheimische Leute kennen und lieben. Auch fand ich einen tollen Fitness-Trainer, Ray, bei dem es kein Aufgeben gab.

Panorama von Alamogordo

Meine beste Freundin, Tina, habe ich im Photoshop-Kurs an der Universität kennengelernt. Auch unsere Männer verstanden sich direkt. Mit Tina tauschte ich mich zu jeder Fotoidee aus. Sie ist eine Künstlerin und ich bewundere ihre Arbeit sehr. Gegenseitig motivierten wir uns, noch bessere Fotografen zu werden. 

Meine Fotografie-Skills schulte ich so oft es ging. So nutzten mein Mann und ich die Schulferien unseres Sohnes zum Reisen. Wir schauten uns die unendliche Natur dieses großen Landes in Nationalparks an. Während dieser Reisen fotografierte ich traumhafte Landschaften. So wurde die Landschaftsfotografie eine Leidenschaft und dient für mich bis heute zur Erholung. 

Wir liebten es, in der Wüste New Mexicos zu leben. Gleich um die Ecke unseres Wohnorts befand sich das White Sands National Monument (die größte Gipsdüne der Welt), das zum größten Teil mein Fotostudio war. Weißer Sand, Dünen, seltene Pflanzen und Tiere, Menschen, die Picknick machten und Kinder die auf Schüsseln die Sanddünen herunterrutschen.

Familien Portraits Eifel

Familien-Session in White Sands

Ein Neuanfang in einer für uns fremden Region – Willkommen in der Eifel

Mein Mann wurde zum 01.10.2017 nach Büchel in der Eifel versetzt und so waren die acht schönen Jahre, die wir in den USA verbracht haben, vorüber. Wir kannten die Eifel nicht, aber wir sagten uns, wenn wir als Familie zusammenhalten, werden wir auch das schaffen.

Als wir im Sommer 2017 zurück nach Deutschland zogen, mussten wir schweren Herzens viele Menschen zurücklassen: Freunde, Bekannte und Kunden. Das Internet macht es uns aber zum Glück möglich, einfacher in Kontakt zu bleiben.

Alles in allem hatten wir eine traumhafte Zeit dort, allerdings hatten wir ja auch den Rückhalt der Deutschen Bundeswehr. Ohne diesen Rückhalt ist das Leben dort sicher nicht einfach gewesen: Die Lebenshaltungskosten sind sehr hoch und sozial ist man nicht oder kaum abgesichert. Wir sind froh, wieder die deutsche Lebensqualität genießen zu dürfen und näher bei unseren Familien zu sein.

Beim Umzug und Neuanfang in Deutschland half auch die Realisierung eines meiner großen Träume: vom eigenen Haus, mit separatem Eingang zu meinem Fotostudio und einem großen Garten für Fotoshootings. Dieses Haus haben wir tatsächlich gefunden – und zwar in Polch.

Ich musste mein Geschäft von Null aufbauen. Wir wohnen zwar nicht weit weg von Koblenz, allerdings immer noch sehr ländlich. Und dennoch: Mein Fotostudio war bis Juni 2017 in Alamogordo, USA voll ausgebucht. Das war somit eine große Umstellung für mich, als ich in Polch neu begonnen hab. 

In der kurzen Zeit, in der wir jetzt wieder in Deutschland wohnen, habe ich für mein Fotostudio richtig viel erreicht: Ich habe viele interessante Kontakte geknüpft und ein gutes Netzwerk aufgebaut. Meine neuen Kunden sind glücklich und kamen sogar schon für Folge-Sessions zu mir zurück.

Viele Ziele habe ich schon erreicht, an einigen arbeite ich weiterhin.

Polch, aufgenommen mit der Drohne meines Sohnes

4 Kommentare
  1. admin
    admin sagte:

    Dankeschön, liebe Doris. Ach, toll, dass Du White Sands kennst. Das ist ein magischer Ort, unbeschreiblich schön. Liebe Grüße, Karina

  2. Doris Bürgel
    Doris Bürgel sagte:

    Hallo liebe Karina,
    ein sehr beeindruckender Lebensweg!
    In White Sands waren wir auch schon mal. Das ist einer der Nationalparks in den U.S.A., die ich am tollsten fand. Wir hatten da ein Permit zum Übernachten im Zelt in den Sand-Dünen, das war echt magisch.
    Alles Liebe, Doris

  3. admin
    admin sagte:

    Vielen Dank, liebe Susanne. Ja, ich hab das Gefühl, wir stehen niemals still ;-)

  4. Susanne
    Susanne sagte:

    Hallo Karina, klasse, ein sehr interessanter Einblick, und so viel bist Du schon rum gekommen in der Welt. Ich wünsche Dir weiterhin viel Erfolg!

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