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Wie die DDR meine Jugend prägte und die Wende mir Freiheit schenkte

Wie die DDR meine Jugend prägte und die Wende mir Freiheit schenkte

Wie war das Leben in der DDR wirklich? Was haben wir verloren und was haben wir gewonnen, als die Mauer fiel und die Grenzen sich öffneten? In diesem Artikel möchte ich meine ganz persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse teilen – von meiner Kindheit in der DDR, über die dramatischen Tage der Wende bis hin zu meinem heutigen Leben als selbstbewusste und weltoffene Frau.

Diese Geschichte ist Teil der Blogparade von Sylvia Tornau,„Geteiltes Leben – wie viel DDR steckt nach 35 Jahren Einheit noch in mir?“ die dazu aufruft, die persönlichen Verluste und Gewinne im Zusammenhang mit dem Ende der DDR zu reflektieren. Lies weiter, um zu erfahren, wie sich mein Leben durch diese historische Veränderung entwickelt hat und welche überraschenden Wendungen es genommen hat.

Was ich mit dem Ende der DDR verloren habe

Stell dir vor, du wächst in einem kleinen Ort namens Reußen in der Nähe von Halle Saale auf, umgeben von Familie, Tieren und der Landwirtschaft. Genau so war meine Kindheit in der DDR. Meine Eltern waren berufstätig – mein Vater als Landmaschinenführer in der LPG, meine Mutter als Verkäuferin in einem Kinderkaufhaus. Unsere Tage waren gefüllt mit Pflichten und Aufgaben, aber auch mit einem starken Gefühl von Gemeinschaft und Sicherheit.

Verlust der Vertrautheit und Gemeinschaft

Wir lebten auf einem Bauernhof, der eine Vielzahl von Tieren beherbergte – Hühner, Enten, Gänse, Schweine und vieles mehr. Unser Vater baute jedes Jahr eine Vielfalt an Gemüse und Obst an, die wir für unseren Eigenbedarf nutzten und auch verkauften. Dieses Leben war nicht immer einfach, vor allem für uns Kinder, die wir oft mithelfen mussten. Dennoch sorgte es dafür, dass wir immer genug zu essen hatten und auch in schwierigen Zeiten versorgt waren.

Der Alltag in der DDR war von festen Routinen geprägt. Wir fuhren jeden Tag mit dem Zug zur Schule und nach dem Unterricht, der meist gegen 13:30 Uhr endete, waren wir zu Hause, um unsere Pflichten zu erledigen. Das Mittagessen nahmen wir in der Schule ein, was unserer Mutter eine Sorge weniger machte. Am Nachmittag und an den Wochenenden war Zeit für Freunde, Sport und das Dorfleben.

Um uns ein bisschen Geld zu verdienen, arbeiteten wir in der Ernte, lasen Steine von den Feldern oder schälten Zwiebeln.

Mit 14 hatten wir Jugendweihe, das hieß, dass wir in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen wurden. Ab diesem Zeitpunkt durfte auch ich mit meinen Freunden zur Disko, die es in den umliegenden Dörfern gab. Hier trafen wir uns, um ausgelassen zu feiern und zu tanzen. Die Discotheken starteten schon am späten Nachmittag und endeten spätestens um 23 Uhr. Wir waren immer alle gemeinsam unterwegs, jeder hat auf den anderen aufgepasst.

Alles in der DDR war organisiert, wir führten nur aus! Wir funktionierten.

Eingeschränkte Freiheit und Möglichkeiten

Für mich war es nach der 10. Klasse nicht möglich, Abitur zu machen. Ob es an der Westverwandtschaft lag oder weil ich getauft war, kann ich nicht sagen. Jedenfalls begann ich eine Ausbildung als Facharbeiter für Schreibtechnik im Dampfkesselbau Hohenthurm. Obwohl die Berufswahl von der Regierung vorgegeben war, hatte ich das Glück, in einer Firma nahe unseres Wohnorts zu arbeiten. Berufsschule und Arbeit strukturierten meinen Alltag, doch es war die politische Atmosphäre, die meine Träume und Hoffnungen prägte.

Verwandtschaft im Westen und besondere Geschenke

Unsere Verwandten im Westen besuchten uns ab und zu. Diese Besuche waren immer aufregend, denn sie brachten abgetragene Kleidung mit, die wir mit Vorliebe annahmen. Die westliche Kleidung war anders und oft von besserer Qualität als das, was wir im Osten kaufen konnten. Außerdem bekamen wir regelmäßig Pakete aus dem Westen, gefüllt mit Seife, Kaffee, Schokolade und Strumpfhosen. Das Auspacken dieser Pakete war ein Familienereignis, bei dem alle zusammenkamen, um die Schätze zu bestaunen und gerecht aufzuteilen.

Einkaufen im Osten war dagegen eher langweilig. Es gab für alle dieselben Produkte, und die Preise waren überall gleich. Besondere Wünsche führten uns manchmal in den „Exquisit“ oder den „Intershop“, wo wir mit umgetauschten D-Mark einkaufen konnten. Diese seltenen Einkäufe machten wir oft vor Weihnachten oder Ostern, um etwas Besonderes für den bunten Teller oder den Osterkorb zu haben.

Aufbruch und die Montagsdemos

Mit zunehmender politischer Spannung und den Montagsdemos in Halle begann ich, von einem anderen Leben zu träumen. Die Fluchtwelle über Ungarn inspirierte mich, und so schmiedeten mein Freund und ich Pläne, uns anzuschließen. Es war ein mutiger Schritt, als wir meiner Mutter von unserem Entschluss erzählten. In dieser Zeit erlebten wir Angst und Unsicherheit, aber auch den festen Glauben an eine bessere Zukunft.

Die Flucht in den Westen

Unsere Flucht führte uns über die tschechische Grenze nach Bayern. Die Erfahrung im Auffanglager war ernüchternd. Der Umgang mit Müll und die Art der Verpflegung schockierten mich, denn so etwas hatte ich noch nie erlebt. Von Bayern aus wurden wir nach Lübeck und schließlich nach Mannheim gebracht. Die Mauer fiel, und wir standen plötzlich vor der Frage, ob diese Veränderung gut oder schlecht war.

Wir waren überfordert mit der Flut an Artikeln, die es im Supermarkt zu kaufen gab. Ob Schokolade oder Zeitungen, von jedem Produkt gab es viele verschiedene Varianten. Wie sollten wir entscheiden, was gut und was weniger gut war. Dies war eine Erfahrung, die wir im Osten nie machen mussten. Bis heute fällt es mir schwer, mich für bestimmte Dinge zu entscheiden, wenn es diese im Überfluss gibt.

Was wir uns heute vom Osten wünschen

Es gab viele Aspekte des Lebens in der DDR, die gut waren und die wir uns heute manchmal zurückwünschen:

  1. Einheimisches Obst, Gemüse und Fleisch
    • Frische, lokal produzierte Lebensmittel waren die Norm und förderten eine nachhaltige Ernährung.
  2. Kindergärten und -krippen mit langen Öffnungszeiten
    • Diese Einrichtungen boten berufstätigen Eltern flexible Betreuungszeiten und sorgten für eine gute frühkindliche Bildung.
  3. Ein einheitliches Schulsystem
    • Ein standardisiertes Bildungssystem, das gleiche Chancen für alle Schüler bietet.
  4. Starke Gemeinschaft und Nachbarschaftshilfe
    • Der Zusammenhalt in den Gemeinden war stark und Nachbarn halfen sich gegenseitig in Notlagen.
  5. Subventionierte Kulturangebote
    • Theater, Konzerte und andere kulturelle Veranstaltungen waren erschwinglich und für alle zugänglich.
  6. Breitensportförderung
    • Sportvereine und -einrichtungen waren weit verbreitet und förderten die körperliche Ertüchtigung der Bevölkerung.
  7. Gleichberechtigung in der Arbeitswelt
    • Frauen und Männer hatten ähnliche Arbeitsbedingungen und Zugang zu beruflichen Möglichkeiten.
  8. Öffentliche Verkehrsmittel
    • Gut ausgebaute und günstige öffentliche Verkehrsmittel erleichterten den Alltag ohne eigene Fahrzeuge.
  9. Staatlich unterstützte Gesundheitsversorgung
    • Ein Gesundheitssystem, das allen Bürgern Zugang zu medizinischer Versorgung bot.
  10. Preisstabilität
    • Einheitliche und stabile Preise für Grundnahrungsmittel und andere wichtige Güter.
  11. Berufliche Ausbildung und Arbeitsplatzgarantie
    • Gute Berufsausbildung und die Sicherheit eines Arbeitsplatzes nach dem Abschluss.
  12. Kollektive Ferienlager und Pionierlager
    • Gemeinsame Ferienaktivitäten für Kinder und Jugendliche, die soziale Bindungen stärkten.

Was ich mit dem Ende der DDR gewonnen habe

Die ersten Wochen in Mannheim

In Mannheim lebten wir die ersten Wochen in einer riesigen Turnhalle, zusammen mit vielen anderen Menschen. Es war nicht immer angenehm. Einige setzten ihre ersten 100 DM direkt in Alkohol um. Es war November, und die Hilfsbereitschaft der Menschen vor Ort war riesig. Eine Mannheimer Musikgruppe nahm sich unser an und lud uns zu sich ein. Sie luden uns sogar an Weihnachten 1989 zu sich nach Hause ein und auch meine Familie, meine Mutter, meine Schwester und ihren Freund. Sie kamen damals mit dem Trabant, was für Aufregung und Neugierde bei den neuen Freunden geführt hat. So sahen wir meine Familie doch endlich wieder. Zwischenzeitlich zogen wir in eine Jugendherberge um, wo wir ein Zimmer mit fünf weiteren Personen teilten, die viel Alkohol tranken und sich auch schlugen. Hier wohnten wir bis Ende Januar 1990, bevor wir eine 1-Zimmer-Wohnung mieten konnten.

Neue Möglichkeiten und Selbstständigkeit

Zum 1. Dezember begann ich als Schreibkraft in einer großen Baufirma zu arbeiten. In dieser Zeit lernte ich viel – neue Arbeitsweisen, Selbstständigkeit und die Bedeutung von Freiheit. Ich ging ins Fitnesscenter und in Clubs, fand neue Freundinnen und wurde immer unabhängiger. Auch der Osten entwickelte sich weiter.

Rückkehr und neue Erfahrungen

Nach zwei Jahren kehrte ich nach Halle zurück und machte eine weitere Ausbildung zur Fremdsprachensekretärin in Englisch und Französisch. Wir unternahmen die ersten Reisen nach Ägypten, Holland und entdeckten Westdeutschland. 1994 begann ich in Leuna für eine französische Baufirma zu arbeiten, wo ich viele Franzosen kennenlernte, die mir ihre Kultur nahe brachten und mich mit nach Paris nahmen. 1997 fand ich einen Job in Paris und zog um. Neugierig und unabhängig entdeckte ich eine neue Welt.

Persönliche Entwicklung und Selbstbewusstsein

Als Kind war ich super introvertiert, schüchtern und habe mich nichts getraut. Ich trug eine Brille und wurde deshalb Brillenschlange genannt. Ich hatte keine feste eigene Meinung. Aber ich war ein sehr pflegeleichtes Kind, immer höflich und gut gelaunt.

Nachdem ich nun mit 54 viel erlebt habe, bin ich viel gereist, habe immer viel gearbeitet und mich weitergebildet. Neben Paris habe ich auch in den USA gelebt. Heute bin ich sehr offen und überhaupt nicht mehr schüchtern. Als Fotografin liebe ich den Umgang mit Menschen. Wer mich vor dem Mauerfall kannte, hätte nie gedacht, dass ich diesen Weg gehe und zu einer selbstbewussten Frau werde. Alles begann durch die Flucht aus der DDR.

Anfangs wurde ich oft auf meinen Akzent angesprochen. Mittlerweile ist dieser fast verloren gegangen, doch ich verstecke ihn nicht. Ich freue mich immer, wenn ich Menschen aus meiner Heimat treffe. Wir haben uns immer etwas zu berichten und teilen besondere Erinnerungen.

Heute ist meine Familie und Bekannten sehr stolz auf mich und freuen sich über meine Besuche. Sie erzählen in ihrem Bekanntenkreis über mich und bewundern, wie ich meinen Weg gehe.

Was der Westen besser gemacht hat

Es gibt viele Vorteile des Lebens im Westen, die mein Leben positiv beeinflusst haben:

  1. Freiheit und Meinungsfreiheit
    • Die Freiheit, seine Meinung offen zu äußern und politische Vielfalt zu erleben, war und ist im Westen größer.
  2. Reisefreiheit
    • Die Möglichkeit, ohne Einschränkungen ins Ausland zu reisen und verschiedene Kulturen zu erleben.
  3. Breites Warenangebot
    • Eine größere Auswahl an Konsumgütern, Lebensmitteln und Luxusartikeln in den Geschäften.
  4. Technologische Entwicklung
    • Schnellere technologische Fortschritte und Zugang zu modernen Geräten und Innovationen.
  5. Bildungsvielfalt
    • Ein breiteres Angebot an Bildungseinrichtungen und Studiengängen, einschließlich privater und spezialisierter Schulen.
  6. Berufliche Flexibilität
    • Mehr Möglichkeiten zur beruflichen Veränderung, Weiterbildung und Karriereentwicklung.
  7. Bessere Einkommen und Lebensstandard
    • Höhere Durchschnittseinkommen und ein insgesamt höherer Lebensstandard.
  8. Gesundheitsversorgung
    • Zugang zu moderner medizinischer Versorgung und spezialisierten Fachärzten.
  9. Kulturelle Vielfalt
    • Ein reichhaltigeres kulturelles Angebot, einschließlich internationaler Filme, Musik und Kunst.
  10. Vielfalt an Freizeitmöglichkeiten
    • Ein breiteres Angebot an Freizeitaktivitäten und Sportmöglichkeiten.
  11. Wohnkomfort
    • Moderne und komfortablere Wohnverhältnisse, oft mit höherem Standard.
  12. Marktwirtschaft und Wettbewerb
    • Eine dynamische Marktwirtschaft, die Innovationen und besseren Service fördert.

Wie viel DDR steckt nach 35 Jahren Einheit noch in mir?

Auch nach 35 Jahren deutscher Einheit steckt noch ein Stück DDR in mir. Die Disziplin und das Pflichtbewusstsein, die ich in meiner Kindheit und Jugend erlernt habe, prägen mich bis heute. Das strukturierte und organisierte Leben, das wir in der DDR führten, hat mir geholfen, auch in schwierigen Zeiten den Überblick zu behalten und mich durchzusetzen. Obwohl ich heute in einer freien und offenen Gesellschaft lebe, trage ich diese Werte in mir und sie helfen mir, meinen Alltag zu meistern und beruflich erfolgreich zu sein.

Fazit

Mit dem Ende der DDR habe ich viel verloren – die Vertrautheit meines Alltags, die Nähe zur Familie und ein gewisses Maß an Sicherheit. Doch ich habe auch viel gewonnen: Freiheit, neue Möglichkeiten und die Chance, meinen eigenen Weg zu gehen. Diese Erfahrungen haben mich geprägt und mir gezeigt, dass Wandel immer auch Chancen bietet. Trotz der Veränderungen, die die Wende mit sich brachte, blicke ich auf eine glückliche Kindheit und Jugend zurück. Diese Erinnerungen und die Werte, die ich gelernt habe, begleiten mich bis heute und haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich bin.